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Der in Düsseldorf geboreneLyriker Adolf Endler beschreibt Düsseldorf zu einer Zeit, als noch die Industrie und der Geruch von Persil das Stadtbild prägten.

1.

Papiermühle, Wasserwerk, Henkel,

Dreieck, in dem ich wohnte.

Gelände der Kindheit,

Gelände der vielen Mauern,

der strengen Tore.

Ach, wie seh ich uns noch in der Landschaft,

die klappert und klirrt, die Kinder im Netz der

Geräusche, Gerüche.

Durch milchweiße Waschmittelwolken fliegen die Kräne.

Ach, wie seh ich uns noch, wir haben Pfeil und Bogen

vergessen.

Schrill quiekte fern in den Sägen,

als würde ein Schwein gestochen,

das Holz.

Wir sind auf der Rampe und schieben die

Packpapierrollen.

Ich seh uns hocken.

Wir lauschen den Pumpen,

die mächtig stampfen im Rhein.

Der Wassermann kommt wohl gestapft,

hat er sich verirrt?

Papiermühle, Wasserwerk, Henkel,

Dreieck, in dem ich wohne.

Geruch frisch geschnittenen Holzes

- such nicht die Wälder!

Wir kennen den Harztropfen, rot auf geschälten

Stämmen.

Wir kennen uns aus im Stahlröhrenwald,

weit verzweigt,

dort pflückten wir Schrauben und Drähte

für unseren Roller.

Wir sprechen von Reisen, die uns die Eltern

versprachen, immer vertagten:

Vogesen und Alpen, Hunsrück, Odenwald, Taunus.

Wir sitzen am Schlackeweg auf dem Deich,

der seltsamen Namen eifrig nickende Kenner.

(Was tut mir der Abend des Flusses,

erregendes Konzentrat,

der in die Rispengräber der Niederung greift?)

Doch in alle Gerüche fein eingemischt

Ist herber Persilduft,

Geruch unsrer Heimat,

Persilduft,

der früh und spät bitter und süß

zäh unsre Sinne reizt.

Papiermühle, Wasserwerk, Henkel,

Dreieck, in dem ich wohne.

Früh, wenn du aufwachst,

immer stehn Schornsteine rot um den Horizont,

weitmaschiger Zaun.

Am Himmel mischt schwarzer Rauch

Die Wolken, die Strahlen der Sonne.

Auf dem Fensterblech liegt eine dünne

blaßblaue Persilhaut.

Steig mit der Mutter zum Speicher;

Wenn sie die Wäsche hängt,

sieh aus der Luke:

Hinter dem schwelenden Gatter aus Schornsteinen, o!,

steigt lockend die Welt.

Über dem Hallenmeer, grauen erstarrten Wogen,

flimmert hellgrüner Schaum,

Buchen im Benrather Park.

Komme vom Dach

Herab in die Küche:

Auf dem Fensterblech

Liegt eine dünne

blaßblaue Persilhaut.

Die Mutter sagt:

Dein Husten wird auch nicht besser!

2.

Papiermühle, Wasserwerk, Henkel, Dreieck, in dem ich

wohne,

Landschaft der Kindheit,

zerschnitten inmitten

von der Fernstraße acht, der schnurgraden Schneide, von der Eisenbahnlinie, glänzenden Strängen

(vom Hafen kommt sie, mündet wer weiß wo),

zerteilt.

Seht, an der Tankstelle stehen bestaunt im Kreis die

ölverkrusteten Männer,

die kennen die fernen Erdteile München und Wipperfürth.

Wir gierigen Lauscher hören sie leise fluchen: „Hitler

macht Krieg!“

Und der Mann in der Lokomotive winkt uns mit

kohlschwarzer Hand.

Jetzt sieht er uns, wen wird er sehn in zwei Stunden:

Sieht er den Hitler?

Dann die bläulichen Lichtfontänen, nachts von

Lastwagenscheinwerfern weit in den Himmel gesprüht:

wie wir fiebern!

Dann das Klirren und Rollen und Rumpeln der Züge,

beladen mit Waschmitteln, Gasolin und Papier,

beladen mit kindlichen Phantasien, wie wir fiebern!,

des Tages verglimmendem Bildergewirr:

Papiermühle, Wasserwerk, Henkel,

Shell, Maschinenfabrik, Elektrizitätswerk –

dreiarmiger Fahrradstrom, der sich schrill

in den Wind wirft, ganz plötzlich verschluckt ist,

hinter der undurchsichtigen Glaswand

das silbern zuckende Licht und hüpfende Schatten,

der Pförtner, der streng seinen Schnurrbart streicht

und tabakdampfend über die Väter regiert.

Papiermühle, Wasserwerk, Henkel,

Shell, Maschinenfabrik, Elektrizitätswerk –

und dazwischen ein glühendes Ginstergestrüpp,

verborgene sandige Mulde hinter dem Gasturm,

wo wir die hastigen Eidechsen fingen im Sommer,

im Frühling die Liebe erprobten, ach, Emmi, ach, Ruth,

wo Afrika war und Wildwest, der Salzsee, weite Savannen,

wir gestern den Nordpol und heute den Südpol

besiegten.

3.

O schallendes Dreieck, geliebtes, aus dem sie aufbrechen

einst zum schönsten der Stürme:

Du, lieber Bruder, der Dienst an den Pumpen tut, helles

Wasser springt in die Hand unten vom Rhein,

Du, Freundin Reni, die verpackt viele tausend Persil am

Tag mit den Händen, die Poren wie Pfeffer.

Ich seh das Dekret am Fabriktor, auch sie seh ich’s lesen,

die Toten:

Du, Onkel Willi, der preßt das Papier, drauf malte ich

Schornsteine, krumm und sehr klein,

Du, Franz, Merkur auf dem Moped, der in Regen und

Sonne die vielen Fabriken verbindet...

Ach, schallendes Dreieck, aus dem sie aufbrechen werden

zum roten der Stürme:

Papiermühle, Wasserwerk, Henkel,

Shell, Maschinenfabrik, Elektrizitätswerk.

aus:
Akte Endler. Gedichte aus 30 Jahren. Reclam Verlag Leipzig 1988