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Neben Mexiko, Griechenland, Guatemala und anderen Orten ist auch das deutsche Düsseldorf Schauplatz in einem der bekanntesten Romane des Schweizer Autors Max Frisch: Kurz nach dem Tod seiner 20jährigen Tochter, die, ohne dass Faber um die verwandschaftlichen Beziehungen weiß, auch zu seiner Geliebten wird, macht der Techniker Station in Düsseldorf, um den Mitarbeitern des Hencke-Bosch-Konzerns seine Filmaufnahmen der konzerneigenen Plantage in Guatemala vorzuführen. Bei der Probe mit dem Techniker stellt er fest, dass alle Filmrollen unbeschriftet sind. Auf der Suche nach der richtigen Sequenz werden alle Stationen der Reise, die er mit Sabeth kurz vorher unternommen hat, noch einmal lebendig. Von den Erinnerungen übermannt, verlässt Faber die Konzernzentrale fluchartig.
     
15.VII. Düsseldorf

Was der junge Techniker, den mir die Herren von Hencke-Bosch zur Verfügung stellten, von mir denken mag, weiß ich nicht; ich kann nur sagen, daß ich mich an diesem Vormittag zusammennahm, solang ich konnte.

Hochhaus in Chrom -

Ich hielt es für meine Freundespflicht, die Herren zu informieren, wie ihre Plantage in Guatemala aussieht, das heißt, ich war von Lissabon nach Düsseldorf geflogen, ohne zu überlegen, was ich in Düsseldorf eigentlich zu tun oder zu sagen habe, und saß nun einfach da, höflich empfangen.

(...)

Was der junge Techniker von mir dachte und sagte, als die Herren kamen, weiß ich nicht, ich saß im Speisewagen (Helvetia-Expreß oder Schauinsland-Expreß, das weiß ich nicht mehr) und trank Steinhäger. Wie ich das Hencke-Bosch-Haus verlassen habe, das weiß ich auch nicht mehr; ohne Erklärung, ohne Ausrede, ich bin einfach gegangen.

Nur die Filme ließ ich zurück.

Ich sagte dem jungen Techniker, ich müsse gehen, und bedankte mich für seine Dienste. Ich ging in das Vorzimmer, wo ich Hut und Mantel hatte, und bat das Fräulein um meine Mappe, die noch in der Direktion lag. Ich stand schon im Lift; es war 11.32 Uhr, jedermann zur Vorführung bereit, als ich mich entschuldigte wegen Magenschmerzen (was gar nicht stimmte) und den Lift nahm. Man wollte mich mit Wagen ins Hotel bringen, beziehungsweise ins Krankenhaus; aber ich hatte ja gar keine Magenschmerzen. Ich bedankte mich und ging zu Fuß. Ohne Hast, ohne Ahnung, wohin ich gehen sollte; ich weiß nicht, wie das heutige Düsseldorf aussieht, ich ging durch die Stadt, Stoßverkehr in Düsseldorf, ohne auf die Verkehrslichter zu achten, glaube ich, wie blind. Ich ging zum Schalter, wo ich mir eine Fahrkarte kaufte, dann in den nächsten Zug - ich sitze im Speisewagen, trinke Steinhäger und blicke zum Fenster hinaus, ich weine nicht, ich möchte bloß nicht mehr da sein, nirgends sein. Wozu auch zum Fenster hinausblicken? Ich habe nichts mehr zu sehen. Ihre zwei Hände, die es nirgends mehr gibt, ihre Bewegung, wenn sie das Haar in den Nacken wirft, oder sich kämmt, ihre Zähne, ihre Lippen, ihre Augen, die es nirgends mehr gibt, ihre Stirn: wo soll ich sie suchen? Ich möchte bloß, ich wäre nie gewesen. Wozu eigentlich Zürich? Wozu nach Athen? Ich sitze im Speisewagen und denke: Warum nicht diese zwei Gabeln nehmen, sie aufrichten in meinen Fäusten und mein Gesicht fallen lassen, um die Augen loszuwerden?

aus: Max Frisch, Homo faber, Suhrkamp Verlag Frankfurt/Main 1957, S. 185/S.191f.