Für ihre Reportagen reiste Maria Leitner um die Welt. Die überzeugte Kommunistin floh daher aus Nazi-Deutschland, doch bekam weder in den USA noch anderswo Asyl. Schließlich strandete sie in einer Marseiller Psychiatrie, wo sie 1941 starb.
Ihre Recherchen führten sie auch nach Düsseldorf, wo sie feststellen musste, dass für das Andenken an den jüdischen Schriftsteller Heinrich Heine in Deutschland kein Platz mehr war.
Düsseldorf hat heute nur einen »großen« Sohn: Schlageter. Zu seinem Ruhme brennen ewige Feuer. Für ihn werden Denkmäler errichtet. In der Königsallee liegt zwischen Musikcafés sein Ehrenmal. In der Landes- und Stadtbibliothek am Friedrichsplatz verkündet eine große Tafel: »Schlageter-Museum«.
Ich frage den Portier: »Wo ist, bitte, das Heine-Zimmer?« Er sieht mich verständnislos an. Dann ruft er einen älteren Mann. Der gibt mir düster Auskunft: »Das Heine-Zimmer ist vorläufig für immer geschlossen.«
Ich gebe mich aber damit noch nicht zufrieden und gehe in die Kartothekräume der Bibliothek.»Könnte ich, bitte, das Heine-Zimmer sehen?«
Alle Anwesenden, Frauen und Männer, es sind die Angestellten der Bibliothek, halten in ihrer Arbeit inne und blicken mich verwundert an. Einer knurrt: »Wissen Sie denn nicht, daß das Heine-Zimmer geschlossen ist? Von wo kommen Sie denn her?«
»Aus Amerika, sage ich, und ich bin in Düsseldorf nur ausgestiegen, um das Heine-Zimmer zu sehen.«
lle starren mich an, als wäre ich ein Wundertier: die kommt also aus Amerika und ahnt nichts davon, wie es in Deutschland zugeht! Aber gab es nicht auch Leute im Krieg, die nichts von ihm wußten?
Ich blickte heiter und unbefangen vor mich hin. Die Angestellten stecken die Köpfe zusammen, flüstern, beratschlagen. Dann kommt ein hagerer Mann auf mich zu: »Warten Sie!«
Ich setze mich und warte. Der Hagere ist aus dem Zimmer gegangen, wahrscheinlich muß er mit der Direktion beraten. Nach einer Weile kehrt er zurück und sagt nur: »Kommen Sie.«
Stumm geht er mit dem Schlüssel voran, durch dunkle Gänge, durch Korridore, in denen die Kartotheken aufbewahrt sind. Nein, das Heine-Zimmer ist nicht erst jetzt in einen Hinterraum verbannt worden: es war auch in den Zeiten der Republik ein halbverborgenes Zimmer, dessen man sich ein wenig schämte.
Der Schlüssel knarrt heiser im Schloß. Die Tür geht schwer, wie von Staub verklebt. Staub liegt auch dicht über den Kästen, die an den Wänden entlanglaufen. Die Wände sind kahl.
Der Hagere beginnt die Schränke zu öffnen. Er nimmt behutsam einige Bände aus ihrem Gefängnis. Eine Staubschicht liegt auf den abgescheuerten Ledereinbänden, deren Rücken den Namen des Dichters mit goldenen Schnörkeln zeigen.
Die Bücher sind verstaubt, aber wenn man sie öffnet, ist es, als spreche jemand mit einer ganz jungen, frischen Stimme
1938
aus: Maria Leitner, "Elisabeth, ein Hitlermädchen. Erzählende Prosa, Reportagen und Berichte". Aufbau Verlag Berlin/Weimar 1985