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Im Jahr 1822 begegnet die junge Johanne in Kaiserwerth dem Pfarrer Theodor Fliedner. Obwohl sie diesen sehr bewundert, schlägt sie eine Ehe mit ihm aus, um ihre eigene Freiheit zu behalten. Ähnlich geht es ihrer Schwester Catherine, die auch selbst über Leben und Liebe bestimmen möchte. Catherine beteiligt sich leidenschaftlich an der 1848 ausbrechenden Revolution, wodurch ein unerbittlicher Kampf um die eigenen Überzeugungen zwischen den Schwestern beginnt.

"Zusammen mit Tante Nelli war Catharine schon oft in Düsseldorf gewesen. Sie waren über die Kastanienallee geschlendert, hatten die Auslagen der Geschäfte bewundert und Stoffe und Kurzwaren gekauft. Später hatten sie in einem der vornehmen Straßencafés Tee getrunken.

Als die Postkutsche heute auf der Allee einfuhr, wusste sie, dass sich ihnen dieses Mal ein anderes Düsseldorf präsentieren würde. Ob sie Florine Engel überhaupt finden würden? Gustav Winkel`s Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

„Wie sind Sie denn nun im Asyl verblieben?“, erkundigte er sich beiläufig, während seine Augen an der grünen Front aus Büschen und Bäumen entlangglitten, die den englischen Hofgarten zur Straße hin abgrenzten. „Welchen Grund haben Sie für Ihre heutige Abwesenheit angegeben?“

„Keinen“, sagte Catharine kurz. „Ich habe um Urlaub gebeten, und man hat ihn mir gewährt.“

Seine graugrünen Augen richteten sich auf sie. Trotzig erwiderte sie seinen Blick.

Nachdem sie an der Alleestraße ausgestiegen waren, fragten sie sich bis zur Kapuzinergasse durch. Von der Flinger Straße aus bogen sie in die kurze, belebte Gasse ein. Im Gegensatz zur Kastanienallee gab es hier keine eleganten Kleider oder teuren Schmuck zu kaufen. In dieser Gegend lebten und arbeiteten einfache Handwerker; Schuster, Schneider, Bäcker und Dreher. Die Häuser standen hoch und eng zusammen, Kneipen säumten ihren Weg. Über ihnen spannten sich Wäscheleinen quer über die Gasse, von einem Gebäude zum anderen, als reichten sich die Häuser die Hand. Aus den offenen Fenstern drangen Lärm und Essensgerüche und alles vermischte sich auf unangenehme Weise mit dem Gestank, der aus der offenen Gosse am Rand der Straße kam."

aus:

Gina Mayer, Die Protestantin, Diana Verlag, München 2006, S. 235/236