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In den Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders nach dem 2. Weltkrieg hat Betty sich ein neues Leben im Ruhrgebiet aufgebaut. Doch eines Tages muss sie sich Ereignissen aus der Vergangenheit stellen, die ihr Glück zu zerstören drohen.
Die Düsseldorfer Schriftstellerin Gina Mayer schreibt seit 2006 Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, für die Düsseldorf häufig zum Schauplatz des Geschehens wird.

Düsseldorf war am Boden zerstört. Seit geraumer Zeit ratterte der Zug nun schon an Steinhaufen und Ruinen vorbei. Hier und da stieg Qualm aus leeren Fensterhöhlen und Löchern, als wären die feindlichen Jagdgeschwader gerade erst abgezogen. Aber vermutlich kochte jemand in den Ruinen Kartoffeln oder Steckrüben.
Gerade hatte der Zug in Benrath gehalten, die nächste Station war der Düsseldorfer Bahnhof. (...). Aber im Krieg hatte der Bahnhof seinen Stolz verloren. Vier Moskitobomber mit gläsernen Nasen hatten ihn ihm genommen. Nun war der Turm oben ausgefranst und die Halle daneben schwarz von ruß und zusammengeflickt wie Frau Koziols Socken. Die alten Gebäude mit ihren Gründerzeitfassaden, die den Bahnhofsvorplatz einrahmten, sahen auch nicht besser aus. Das früher so elegante Bahnhofs-Hotel war nur noch Fassade, das Eingangsportal gähnte zahnlos, und aus dem Dach ragten Stahlstreben.
„Wir müssen ein ganzes Stück zu Fuß", sagte Frau Sonne. „Die Straßenbahn fährt erst ab Graf-Adolf-Platz."
„Wo ist das denn?", fragte Elisabeth.
„Adolf-Hitler-Platz. Die Engländer haben überall die alten Namen wieder eingeführt. Man kennt sich n der eigenen Stadt nicht mehr aus."
Die Hermann-Göring-Straße hieß jetzt Benrather Straße, der Horst-Wessel-Platz Worringer Platz, und die Schlageter-Siedlung hatten die Engländer in Golzheimer Siedlung umbenannt. Aber die Stadt war ja ohnehin ein einziges Trümmerfeld, sodass man eigentlich gar keine Straßennamen brauchte.

Aus: Gina Mayer, „Die Schwimmerin". Verlag HarperCollins 2020, S. 236 ff.