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Im Sommer 1954 kommt der gefeierte Schriftsteller Thomas Mann zusammen mit seiner Frau Katia nach Düsseldorf, um aus dem "Felix Krull" zu lesen. Er logiert im Hotel Breidenbacher Hof an der Königsallee und alle bemühen sich darum, dem Gast einen guten Aufenthalt zu ermöglichen, damit die Stadt und das Hotel in guter Erinnerung bleiben. Ein Zufall steigert die Nervosität: Im selben Hotel ist gleichzeitig Klaus Heuser mit seinem Freund Anwar abgestiegen. Heuser, den Thomas Mann 1927 kennengelernt hatte, gehört zu seinen großen Lieben. In der Figur des Joseph hat er ihm ein literarisches Denkmal gesetzt.
Originell und humorvoll schildert Pleschinski den Besuch des ins Exil gegangenen Schriftstellers mit seiner Familie im Nachkriegs-Deutschland: Erika Mann mischt sich ein, Golo Mann und Ernst Bertram verfolgen ihre eigenen Ziele, eine Journalistin fühlt dem Schriftsteller ordentlich auf den Zahn und die Honoratioren der Stadt bemühen sich, ihre Stadt im besten Lichte erscheinen zu lassen...

„Die Herren bogen in die Schadowstraße ein.

Männer an Krücken. Blinde mit Taststock. Putzfrauen auf Fußschemeln vor Schaufenstern. Eine Verschnaufende wischte sich Schweiß von der Stirn und zündete sich neben dem Eimer eine Zigarette an. Schon ließ sich ein älterer Passant vernehmen: «Auf offener Straße. Eine Schande.» Sie nahm noch ein paar Züge und trat die Zigarette aus.

Die fremde Umgebung bot Anwar doch einiges zum Verwundern. Papierkörbe, die an Laternen montiert waren, hatte er noch nicht gesehen. Torten einer Konditorei kamen ihm wie bunte Wagenräder vor, und überall Weiße, auf Leitern an Fassaden, mit Kuchengabeln um Tische, auf Fahrrädern vor den Streifen eines Fußgängerübergangs. Vor den Auslagen des Geschäfts Elektro-Bunke verharrte er. Die Vielzahl unterschiedlicher Radioapparate war enorm. Dazwischen prangten auf stabilen Beinen auch zwei Fernsehgeräte. Schade, daß sie nicht angeschaltet waren, oder wurde tagsüber kein Programm ausgestrahlt? Man mußte Physiker sein, um zu wissen, wie ein Bild durch die Leitung gelangte. Mit elegantem Schwung hakte Anwar sich mit dem freien Arm bei Klaus unter. «Nicht hier. Man wird verhaftet. Sie haben noch die Nazi-Gesetze.»

«Wieso? Die SS war doch omoseschuell.» Man mußte sich nicht wundern, daß aus einem dunklen Gesicht eine dunkle Stimmer erklang. Schlimm, daß der erste Kommentar eines Indonesiers an diesem Vormittag den Tätern galt.

«Wenn, dann verklemmt. Wer hat dir das eingeredet? Mister Henry?»

«Deutsche Männer gerne zusammen. Deshalb viele Kasernen. Und Wandern im Wald.»

«Vergiß die Weisheiten eines Barkeepers, der nicht über den Jangtse kam.» Klaus machte sich los. Anwar wirkte beldeigt. Aber nicht sehr. Die Aussprache seines X konnte für hiesige Zwecke noch geschärft werden, und auch das H überging er gern. Klaus war froh, daß er nicht Hans oder Xaver hieß.

Die Garmaschen erregten viel Aufsehen. Die Schals um so weniger. Klaus blickte begierig geradeaus. Mächtige Baumkronen. Hinter den locker gereihten Platanen stand der Breidenbacher Hof noch. An einer Mokkabar vorbei erreichten sie den Stolz der Stadt. Klaus Heuser stellte den Koffer ab und breitete die Arme aus: «Voilà. Die Königsallee!»

Der Tritonenbrunnen blies sein Wasser in den Stadtgraben. Die Brücken mit Gußeisengeländer spannten sich über den Kanal. Auf den breiten Gehsteigen flanierten, lasen auf den Bänken Zeitung, ließen sich unter Sonnenschirmen Cinzano schmecken. Augenscheinlich war sehr viel wieder hergerichtet worden. Ausgebrannte Fassaden, aus deren Fensterhöhlen Gestrüpp wucherte, waren leidlich von Laub verdeckt. Blanke neue Gebäude wie am Jan-Wellem-Platz wiederholten sich. Das imposante Eckhaus der Rheinischen Post wirkte unversehrt. Anwar spähte nach links und rechts. Auch er schien beeindruckt von der schnurgeraden Promenadenmeile, auf deren Böschungen junge Leute im Gras das abgeschattete Mittagslicht genossen. Hier zu bummeln, die Fremde zu studieren, war einladender, als bei den lieben lauten Eltern im Meerbuscher Häuschen abermals Bratwurst zu verzehren. «War eins der Stadtwall», erklärte Klaus. «Napoleon, du weißt», und er posierte kurz steif mit angewinkeltem Arm und der Hand unter der Mantelknopfleiste, Anwar begriff, «hat die Wälle schleifen lassen. Als der König von Preußen fünfzig Jahre später hier entlangritt, wurde er mit Pferdeäpfeln beworfen... Äpfel hinten vom Pferd», «Bin nicht dumm.» «Zur Wiedergutmachung dieser Beleidung taufte der Rat der Stadt die Neue Allee in Königsallee um. Eigentlich duckmäuserisch, feige, aber klingt gut. – Sonntags gingen Mira und Werner mit mir manchmal Eis essen ins Café Bittner. Drüben», und er wies hinüber zum Zeitungshaus, «las ich 1935 im Schaukasten auch die Annonce von Schlieper-Import, und so etwas behält man auswendig: Für Übersee. Für gebildeten, charakterfesten Kaufmann, 24-28 Jahre, tüchtige selbstständige Kraft, gesund und von guter Erscheinung, biete sich zukunftsreiche Stellung. Bewerbung mit Lebenslauf und Lichtbild an Hauptgeschäftsstelle. Und ich», Klaus faßte sich an die Stirn, als könne er frühen Mut nicht mehr nachvollziehen, «heuerte in Bremen an. Damit hatte ich die Überfahrt nach Sumatra gratis. Eine lange heiße Reise durchs Mittelmeer, den Golf von Aden, an Indien vorbei. Es war alles so neu, daß ich ganz ruhig war. D weißt, was ich im Hafen von Belewan als erstes tat? Ich bestellte mir nach dem Wörterbuch eine Limonade. Casi satoe ajer-tjeroek.»

aus: Hans Pleschinski, Königsallee, C.H. Beck Verlag, München 2013, S. 54 ff.