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Der in der Karlstädter Bilker Straße lebende adelige Leutnant Viktor von Clermont bleibt für die bürgerliche Heldin Josefine Rinke in der Kasernenstraße in der Altstadt unerreichbar. In diesem Roman entfaltete die Düsseldorfer Autorin Clara Viebig nicht nur eine geografische Topographie der Stadt Düsseldorf, sondern auch eine der sozialen Klassen jener Epoche.

"Nun war Viktor am Schwanenmarkt. Das war freilich das alte Kachelloch nicht mehr. Rund um das Viereck des Platzes standen Häuserreihen, die kaum eine Lücke mehr wiesen; Rasenflächen und wohlgepflegte Lindenbäume erinnerten nicht mehr an die stacheligen Hecken und mannshohen Holunderbüsche von ehemals. Und doch – lag’s an der Luft, die ihn frei umwehte, an den Schwalben, die zwitschernd über ihn hinstrichen zum nahen Lopohl? – er hörte wieder Kinderjubel...“Eins, zwei, drei, mein Herz ist frei! – so schrie Josefine, sich freischlagend, atemlos vom raschen Nachlaufenspiel.... Und an jener Ecke stand der Schinderhannes, der dicke, freche Bürgersjung’, die Hände in den Hosentaschen, die Beine gespreizt, und spuckte....Und hier an der Ecke der Löwenapotheke hatten Taubnesseln geblüht, wilder Thymian und gelbe Kettenblumen, Josefine hatte sie zum Strauß gepflückt.

Überall Josefine und überall.

Und sich selber sah er springen im verwaschenen Kittel, in ausgewachsenen Hosen.

Und eine gewisse Rührung überkam ihn.

Er dachte nicht mehr daran, auf der Königsallee zu promenieren; nachdenklich ging er die Bilkerstraße hinunter, am Elternhaus vorbei, über den Karlsplatz, immer weiter hinein in die alte Stadt. Von den Kirchen läutete es, aus den Bürgerhäusern roch es appetitlich; Kinder mit großen Blatzschnitten standen in den offenen Türen, hinter ihnen im dunklen Flur glimmte das ewige Lämpchen vorm Muttergottesbild. Am Markt, beim alten Jan Willem, saß noch wie früher die Obstfrau unterm Regenschirm; aber es war nicht mehr das ‚Appel-Leni’, bei der er einst geröstete Kastanien für Josefine gekauft."

aus:

Clara Viebig, Die Wacht am Rhein, Erb Verlag, Düsseldorf 1983, S. 136/137